Flächendenken - Eine Einführung
Geschrieben von Irene Huang
InstagramWer durch das Netz stöbert, auf der Suche nach Inspiration oder konkreten Art Tutorials, findet häufig Anleitungen zum Zeichnen: “Wie zeichne ich einen Hund”, “Menschen Zeichnen leicht gemacht”, “Zeichne XYZ in wenigen Strichen!”. Über das Zeichnen können so schnell und verständlich viele Fertigkeiten erworben werden, dass es scheinbar zur Erstwahl der künstlerischen Ausbildung geworden ist. Dabei wird meiner Meinung nach unterschätzt, was ein Umdenken in Flächen und Formen für die eigene Arbeit bewirken kann. Mit Hilfe des Grafikmonitor Artist 15.6 Pro, welches mir von XP-PEN zur Verfügung gestellt wurde, werde ich die Wichtigkeit von Flächen näher erläutern.
Unterschied - Malen und Zeichnen
Obwohl die Grenze zwischen Zeichnung und Malerei fließend ist, unterscheiden die beiden Techniken sich grundlegend durch ein Merkmal: Beim Ersteren entsteht ein Bild aus Linien , beim Letzteren eins aus Flächen . Dies hat, anders als oft angenommen wird, nichts mit der Farbigkeit des Bildes zu tun.
Ich habe Illustratoren und Illustratorinnen kennengelernt, die vorwiegend in Linien denken, und andere (inklusive mir selbst), die aus der Fläche heraus arbeiten. Wo auch immer Du Dich einordnest, es ist sicherlich nicht verkehrt, beide Ansätze kennenzulernen.
Die Macht der Fläche
Egal ob wir malen oder zeichnen: Es entstehen Flächen. Ob gewollt oder ungewollt. Es liegt an uns Schaffenden, uns dies bewusst zu machen, um ein aktives Mitspracherecht in unseren Bildern zu erlangen; auch, wenn wir intuitiv gegebenenfalls schon viel Gefühl für Ästhetik mitbringen.
Stelle es Dir vor wie eine Werkzeugkiste: Es reicht nicht, sie bloß zu besitzen. Du solltest im besten Fall jedes Werkzeug kennen. Nur so hast Du wirklich einen Zugriff auf all Deine Mittel, anstatt darauf zu hoffen, dass Du in Deine Werkzeugkiste greifst und zufällig das bekommst, was Du Dir wünschst.
Ein leeres Bild ist eine einzige Fläche, die Du beliebig in zwei, drei, zehn oder viele hunderte weitere Flächen unterteilen kannst. Als Künstler musst Du entscheiden, wie Du diese eine weiße Fläche nutzen kannst, um das zu vermitteln was Du mitteilen möchtest.
Weniger ist mehr
Das Bewusstsein für die Existenz von Flächen wirft die nächste Frage auf: Worauf genau solltest Du im Hinblick auf Flächen achten? Und wie genau beeinflusst dies deine Kunst?
Vorweg: Es gibt keine klar definierte Antwort, kein wahres “richtig” und “falsch”. Jeder kann experimentieren und “Regeln” brechen, wie es ihm beliebt. Dennoch würde ich sagen, dass es immer auf eines ankommt: Leserlichkeit. Damit ist gemeint, dass die Flächen simpel genug sein sollten, dass der Betrachtende das Motiv auf erstem Blick versteht, ohne auf kleine Details angewiesen zu sein. Gleichzeitig sollten sie jedoch nicht so komplex sein, dass der Betrachtende sich überfordert fühlt, weil das Motiv verwirrend ist und/ oder mit anderen Motiven im Bild konkurriert.
An den drei Bäumen habe ich veranschaulicht, was mit der Lesbarkeit von Flächen gemeint ist. Der erste Baum ist so simpel, dass es nicht genug über das Motiv preis gibt. Wenn die anderen Bäume nicht daneben stünden, hätte es auch ein Stück Brokkoli sein können.
Der zweite Baum ist zwar als solcher erkenntlich, hat jedoch so viele merkwürdige kleine Flächen und Lücken, dass der Betrachtende überfordert ist. Man weiß nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Dazu kommt, dass die Formen nicht miteinander harmonieren.
Im letzten Beispiel ist genau ein richtiger Grad an Detail getroffen. Der Betrachtende erkennt sofort, worum es sich hier handelt. Der Baum ist stimmig in sich, da er gerade so viel Detail hat, dass die Klarheit nicht verloren geht, und keine plötzlichen unnatürlichen Flächen besitzt, die beim Betrachten als unnatürlich und ablenkend auffallen.
Wenn Leute mich fragen, was sie noch tun können, um ein Bild auszubessern, geschieht dies häufig mit der Implikation, noch etwas hinzufügen zu wollen. Aber manchmal hilft es, etwas, das stört, zu entfernen, anstatt das Bild weiter zu überladen.
Flächenkomposition in der Praxis
Bei der Gestaltung eines Bildes, entscheidest Du Dich dafür, wie Du mit Flächen umgehen möchtest.
In der Regel ist eine Spannbreite von verschiedenen Größen sinnvoll, wobei die Verdichtung von vielen kleinen Flächen da liegen sollte, wo der Hauptfokus Deines Bildes liegt. Große Flächen erzeugen Ruhe, kleine erregen Aufmerksamkeit.
Natürlich spielen andere Faktoren eine Rolle (bspw. Farbe, Kontrast, Strichführung usw.), aber vorerst wollen wir uns auf die Flächen konzentrieren.
Achte auf die Klarheit Deiner Komposition, wenn Du ein Bild beginnst. Gerade beim Arbeiten mit dem digitalen Medium, wie in diesem Fall mit dem Artist 15.6 Pro, kann man in kurzer Zeit viele verschiedene Möglichkeiten testen. Es empfiehlt sich, mit großen Pinseleinstellungen anzufangen und noch nicht großartig über Details nachzudenken. Eine gute Komposition funktioniert auch von weitem.
Ich beginne meine Malereien meistens mit großen, groben Flächen, wenigen Farben und ohne Vorzeichnung. So kann ich leicht erkennen, ob meine Idee funktioniert.
Sobald die Skizze zufriedenstellend ist, beginne ich mit den Details. Auch da achte ich darauf, nicht direkt zu kleinteilig zu werden.
Nach und nach verdichtet sich das Bild, wo die Aufmerksamkeit benötigt wird, und fügt sich zu einer Einheit zusammen.
Im nächsten Bild ist so ein Prozess dargestellt.
Dieser Blogbeitrag ist nur eine Einführung in die Faszination der Flächen und natürlich kann man das Thema unendlich vertiefen. Das wichtigste jedoch ist, viel zu probieren und Freude an der Arbeit zu finden.
Wir wünschen Dir viel Spaß beim experimentieren!